Abb.1, Ausschnitt vom Miroboard, Xuetong Chen, Emma Fankhauser, Laurène Hayoz, Muriel Kilchenmann, Anika Rieben, Araya de Rossi, 2021.


Notes

1 Im Rahmen des Workshops Transfer Kunstgeschichte (Hochschule der Künste Bern, 2021, geleitet von Maren Polte und Helena Schmidt), wurden wir Studenten*innen in Gruppen aufgeteilt, um eine digitale Mindmap zu realisieren. Diese Zusammenstellung sollte, die für uns wichtigsten Inhalte und Kunstwerke der Kunstgeschichte zusammenbringen und damit ein Bild der zukünftigen Kunstgeschichte schaffen.

2 Ich denke insbesondere an Kunstformen, die eine Verbindung mit Unterhaltung oder mit angewandter Kunst haben oder sich zu stark auf die Ästhetik konzentrieren. Zum Beispiel: Comic, Illustration, Filme, Clips, Animation und weitere.

3 Was ich hier als Kanon bezeichne, ist die Tendenz, sich mit berühmten und gut dokumentierten Künstlern zu befassen und sich auf die Hauptkunstformen der bildenden Künste zu konzentrieren. Dazu gehört auch das Problem vom Eurozentrismus und die Überrepräsentation von Männern, als Künstler aber auch als Wissenschaftler.

4 Institut von Kunstgeschichte, Universität von Bern. In dieser Institution habe ich Kunstgeschichte studiert. Diese gilt als meine einzige Referenz. Ich denke dass, da die Seminare in zeitlichen Abteilungen gestaltet sind, es schwierig ist, transdisziplinäre und zeitliche Assoziationen zu schaffen, oder auf neue Medien zu verweisen. Es liegt mir fern hier die IKG zu kritisieren. Ich habe an Seminare teilgenommen, die sich bewusst entgegen des Kanons positioniert haben. Beispielsweise: ein Seminar geleitet von Noémie Etienne, in welchem Skulptur in der Renaissance geforscht wurde, mit einem Fokus auf ungewöhnliche Materialien wie Wachs oder Papier.


Abbildungszeichnis


Abb.1, Ausschnitt vom Miroboard, Xuetong Chen, Emma Fankhauser, Laurène Hayoz, Muriel Kilchenmann, Anika Rieben, Araya de Rossi, 2021.

Abb. 2, Wenqing Yan, unbenannt, digitale Malerei, 2020 (https://www.facebook.com/YuumeiArt/photos/pcb.3520527967995952/3520517121330370/,13.04.2021)

Abb. 3, Wenqing Yan, Ausschnitt der Introduktion des Web Comics Fisheye Placebo, 2013. https://www.yuumeiart.com/fisheye-placebo-chapters#/fisheye-placebo-intro/, 13.04.2021).

Abb.4, Ausschnitt vom Miroboard - Liegende Figuren, Xuetong Chen, Emma Fankhauser, Laurène Hayoz, Muriel Kilchenmann, Anika Rieben, Araya de Rossi, 2021.

Abb. 5 (links), Vincent Van Gogh, la Sieste (d’après Millet), Öl auf Leinwand, 91 x 73 cm, 1952.

Abb. 6 (recht), Tiziano Veccelio, Venere di Urbino, Öl auf Leinwand, 165,5 x 119,2 cm, 1538.

Abb. 7, Instagram Post von @enjoyphoenix, 15.01.2021, (https://www.instagram.com/p/CKE3xgMH5_I/, 13.04.2021).

Abb. 8, Werbung Eau de Parfum - Miss Dior, Natalie Portman, 2017.


Laurène Hayoz ~ Brücken bilden – eine assoziative Kunstgeschichte



Was ist eine relevante Kunstgeschichte?
Was sollen die Lernenden mitnehmen?

Meine Beziehung zur Kunstgeschichte hat nicht so gut angefangen. Der Kunstunterricht brachte nur eine unendliche Liste von Künstlern*innen, Strömungen, Daten und Eigenschaften. Kalt, leblos. Vom Gymnasium ist nicht so viel geblieben, ausser berühmte Namen und eine vage Idee der Chronologie. Ich hatte keinen Anknüpfungspunkt zum Fach. Was nützte es mir, das zu lernen, ausser Kenntnisse zu staffeln.  

Es fällt mir schwer, Kunstgeschichte auf einem einzigen Werk zu basieren. Selbst wenn es Eines wäre, das mein Interesse für Kunstgeschichte geweckt hätte oder das mir ein wichtiges Konzept vermittelt hätte. Was für mich relevant ist, wird nicht unbedingt jemand anderes ansprechen. Anstatt mich auf ein Werk zu konzentrieren, möchte ich einen Ansatz zur Kunstgeschichte der mir entscheidend erscheint, ausbauen. Ein Vorgehen, das mir das Potential im Fach offenbart. Das ist Assoziation.

Alles soll zusammenhängend vermittelt werden. So können Ideen abprallen, Interesse erweckt und Bedeutung erschaffen werden. Was ich von der Miroboardübung1 behalte, sind nicht meine eigenen individuellen Eingaben, aber der Moment, wenn die Verbindungen zwischen Werken hergestellt wurde (Abb.1). Also der Zeitpunkt, wenn die Werke nicht mehr für sich selbst wahrgenommen werden, aber dafür, was sie vermitteln können. Was mich interessiert sind nicht nur die visuellen Eigenschaften, sondern viel mehr der Kontext und die Einsätze, die dem Kunstwerk inhärent sind. Neue Kontextualisierungen und Zusammenhänge erschaffen eine Menge von Kombinationen, die spannende Diskussion ermöglichen können. Dies wird auch vermeiden, die Kunstwerke in einem kanonischen Herangehen anzuschauen.

Als Kunststudierende oder KünstlerInnen sind wir gewöhnt Inspirationen und Bedeutung aus Kunstwerken zu extrahieren und die Sachen miteinander zu verbinden. Dagegen werden Schüler*innen im Gymnasium vielleicht noch keine Verbindungen mit ihrer eigenen Kunstpraxis schaffen können. Ich möchte aber mindestens erreichen, dass sie ihren eigenen Zugang finden. Man sollte zuerst die Lernenden in Kontakt mit dem Fach bringen, nur dann kann man anfangen etwas kritisch zu vermitteln.

Deshalb möchte ich mich an die Interessen der Lernenden nähern. Meine Strategie ist, Kunstgeschichte mit heutigen Ereignissen und aktuellen Medien und Kunstformen zu verknüpfen: Soziale Netzwerke, Unterhaltung, Make-up, Kleidung, Sport, Videospiele, Illustration, Comic, Musik, um nur ein paar zu zitieren.

Ich habe während meines ganzen Studiums eine Diskriminierung der populären Kunstformen empfunden2. Der Kanon ist oft hinterfragt, ist aber eigentlich immer sehr präsent.3 Was die IKG4 so selten thematisiert, möchte ich in meiner Definition der Kunstgeschichte einbauen. Es ist aktivierend und motivierend, Wert auf die Kulturwelten der Lernenden zu legen. Ich bin überzeugt, dass wir davon genauso relevante Diskussionen generieren können als von kanonischen Kunstwerken. Als Beispiel kann ich eine Künstlerin, die ich während meiner Gymnasialzeit entdeckt habe, erwähnen. Wenqing Yan (Online Pseudonym: Yuumei) ist eine chinesische Illustratorin, die Webcomics und Illustrationen über staatliche Überwachung, Zensur, und den Smog in Peking erstellt hat. Vor kurzem hat sie auch eine Serie von Illustrationen in Bezug zu den Waldbränden in California gezeichnet (Abb.2). Auf den ersten Blick kann man den Stil zu schön und ästhetisierend, fast kitschig empfinden. Die Bilder sind aber auch direkt, wirksam und selbstverständlich, was für Jugendliche zugänglicher ist. Diese Künstlerin und ihre Werke, wenn man sie näher untersucht, können viele Themen erzeugen, wie zum Beispiel die Eigenschaften von Webcomics, die Zensur in sozialen Netzwerken oder politische Positionierungen mittels Illustration oder Fanart (Abb.3).

Ich will nicht auf klassische Kunstgeschichte verzichten. Eine Brücke zur aktuellen medialen und kulturellen Umgebung des Studierenden wird den Thematiken mehr Relevanz und Wirkung geben.

Es gibt unendliche Möglichkeiten die Themen und Kunstwerke zu assoziieren, sei es in Medien, Bildsprache oder Thema. Instagram könnten wir als einen neuen Ausstellungsraum betrachten, mit Algorithmen als Kuratoren. Genauso könnten wir Tik Tok mit Selbstrepräsentation, Video Games mit Landschaften, Stories mit Tagebüchern oder Nail Art mit Dekorativer Kunst assoziieren.

Wir können dazu ein Beispiel vom Board nehmen, das eine Gruppe von Kunstwerken von liegenden Personen zeigt (Abb.4). Hier finden wir zum Beispiel la Sieste (d’après Millet) (1890) von Van Gogh oder die Venere di Urbino (1538) von Tiziano Veccelio (Abb. 5-6). Dies wird uns erlauben über die Universalität der Posen zu sprechen, oder den Schönheitskanon zu thematisieren. Es wäre sehr interessant dieses Thema nicht nur in der Epoche des Kunstwerks zu erforschen aber es auch mit sozialen Netzwerken und Beauty Filtern zu verknüpfen. Wodurch werden Schönheitsmodelle heute geschaffen? Wer bestimmt sie? Wirkt heute die liegende Position dasselbe? Oder vermittelt es etwas anders? (Abb. 7-8)

Ein anderes Beispiel, wäre die Position und Rolle des Künstler*ins durch mehrere Epochen zu untersuchen. Handwerker, emanzipierte Künstler der Renaissance, Instakünstler*in und Austeller*in in berühmten Galerien können gegenübergestellt werden.

Ich möchte das Potential, das in der Kunst und der Kunstgeschichte liegt, vermitteln. Durch ein assoziatives Vorgehen, das eng mit Praxis und mit dem Interesse der Studenten verbunden ist, wünsche ich den Lernenden mehr als eine Liste von Künstler*innen zu hinterlassen. Ich möchte es versuchen Kunstgeschichte spannend und relevant zu machen. Meine Lernziele sind nicht: „Die SuS kennen die Hauptströmungen und deren Künstler“, aber: „Die SuS, dank einem kritischen und assoziativen Zugang mit Kunstgeschichte, gewinnen Werkzeuge, um ihre eigene mediale und kulturelle Umgebung bewusst wahrzunehmen.“