Abb.1: Screenshot des Miroboards aus dem Modul Kunstgeschichte Transfer


Notes

1 Claud Monet (1840 - 1924) war ein französischer Maler, welcher sich 1883 zog die Familie Monet in ein grosses Haus mit Garten in Givnery. Er begann seinen berühmten Garten anzulegen, welchen in Folge auch als Motiv seiner Bilder nutzte, unter anderem der Seerosenteich.

2 besuche dafür auch: https://miro.com/app/board/o9J_lSTOP4g=/ (17.03.2021)

3 Sternfeld 2005, 30 .

4 Nora Sternfeld ist ebenfalls auch Professorin für Kunstpädagogik an der HFBK Hamburg, wie auch Co- Leiterin des ccm Masterlehrgangs für Ausstellungstheorie und - Praxis an der Universität für angewandte Kunst Wien. Sie ist Mitbegründerin und Teilhaberin von Trafo.K, im Kernteam von Schnittpunkt. ausstellungstheorie & Praxis mitdabei und seit 2011 Teil von freethought. Sie hat zahlreiche Schriften publiziert zu zeitgenössischer Kunst, Bildungstheorie, Ausstellungen, Geschichtspolitik und Anitrassismus. Vergl.  auch: https://www.hfbk-hamburg.de/de/namenregister/nora-sternfeld/ (14.April.2021)
https://www.trafo-k.at/nora-sternfeld/ (14. April.2021)

5 Sternfeld 2005, 31.

6 Sternfeld 2005, 16, 30.

7 Vergleiche dazu: https://warburg.sas.ac.uk/  (14.04.2021)

https://blog.singulart.com/de/2019/07/04/die-seerosen-von-claude-monet/ (17.03.2021)

9 Vergl. Auch Linnea im Garten des Malers von Christina Björk und Lena Anderson oder Bildbetrachtung Aktiv von Susanne Vogt, bei welchem der Künstler Claude Monet als Beispiel und Vorbild herbei gezogen wird, wenn es um den Ausdruck von Licht, Tageszeiten und Wetterphänomene geht.

10 Zu unserer Arbeitsgruppe gehörten Roshan Adhihetty, Lena Hoppenkamps, Viviane Stucki und Réka Szücs.

11 https://blog.singulart.com/de/2019/07/04/die-seerosen-von-claude-monet/ (17.03.2021)

12 Hermann Usener 1952, 219.

13 Danke Araya De Rossi für den Hinweis!


Muriel Kilchenmann
~ Ein neuer Themenbereich im Seerosenteich



In diesem Text nähere ich mich ausgehend vom Modul Transfer Kunstgeschichte (HKB Frühlingssemester 2021) frei schreibend den berühmten Seerosenbildern von Claude Monet1 und erhoffe mir dabei, einen Zugang zu finden, welcher mir neue Möglichkeiten in deren Betrachtungsweisen aufzeigt, die ich in einem schulischen Kontext gebrauchen kann.

Auf unserer digitalen Plattform zum Modul Transfer Kunstgeschichte (Abb.1 und 2) befindet sich ein Seerosen Bild von Claude Monet.2 Während im schulischen Kunstunterricht in der Deutschschweiz die Werke Monets meist feste Bestandteile des Unterrichts sind, wirkt seine Seerosenidylle hier fehl am Platz. In diesem Modul geht es um eine kritische und zeitgenössische Kunstgeschichte; im Sinne einer kritischen Kunstvermittlung also um eine Thematisierung von gesellschaftlichen Verhältnissen, sowie Ausschluss - und Ausbeutungsmechanismen. Es geht darum, dass Lernen mit Handeln verbunden wird und dass als Folge davon soziale und politische Veränderungen das Ziel sein sollten.Laut Nora Sternfeld, einer einflussreiche Kunstvermittlerin und Kuratorin im deutschsprachigen Raum,4 müssten Machtverhältnisse thematisiert werden und im Hinblick auf diese Informationen gegeben und Kontexte sichtbar gemacht werden. Dabei sei nicht das Herausfinden spielerischer Methoden für die Informationswiedergabe das grundlegende Problem, sondern es gehe vielmehr um die grundlegende Frage, welche Informationen überhaupt weitergegeben werden sollen?Wenn ich also Claude Monets Werke im Kunstunterricht thematisiere, widerspiegeln sich dann nicht nur Seerosen und eine Landschaft im Teich, sondern auch einen Kunstunterricht, welcher auf die klassische Stilgeschichte Bezug nimmt, sich an dieser orientiert und somit vielleicht Gefahr läuft, eine blosse Reproduktion des herrschenden Wissensdiskurses zu sein? Gebe ich damit eine Kunstgeschichte wieder, welche ein Wissen reproduziert, das mit bestehender nationaler und bürgerlicher Werte einhergeht?6

Ich könnte mich dazu entscheiden, die Seerosen (und Monet) im Unterricht auszulassen und nach möglichen Alternativen zu suchen (Abb.3) Es ist aber auch so, dass der Künstler und seine Werke sich nunmal auf dem Miroboard dieses Moduls befinden und mir irgendwie einen Dorn im Auge sind. Wie gehen wir mit solchen angeblichen „Klassikern“ der Kunstgeschichte um? Eine Möglichkeit wäre, dass eine Überführung in unser aktuelles Zeitgeschehen passiert, respektive dass versucht wird einen Bogen zu schlagen von einer stilgeschichtlichen Anschauung zu einer aktuellen Thematik. Es stellt sich aber die Frage, wie mir das gelingen kann, denn seien wir ehrlich -  Seerosen im Teich scheinen momentan nicht gerade eine Aktualität und Dringlichkeit in sich zu haben.  

Als Arbeitsgruppe im Modul Kunstransfer beschlossen wir, frei assoziativ mit Bildern zu arbeiten, ähnlich wie es uns vom Kunsthistoriker Aby Warburg bekannt ist.Jeder Teilnehmer und jede Teilnehmerin stellte dafür ein Werk aus der klassischen Kunstgeschichte aufs Miroboard und ausgehend von diesen Bildern suchten wir alle (von zu Hause aus, verbunden durch MS Teams) im Internet, in unseren Gedächnissen und in den Archiven unserer Computer nach passenden Assoziationen. Wir stellten uns dafür einen Timer, das Ganze erfolgte schnell und intuitiv. Unsere Zielvorstellung war es, dass wir dank dieser Methode zu spannenden Querverbindungen gelangen und sich uns neue Thematiken aufzeigen würden. Das gelang nur teilweise, ich glaube, dass dafür die zu knapp gesetzte Zeit mitverantwortlich war (siehe Abb.1 und 2).Deshalb möchte ich nun die gleiche Methode weiter verfolgen, dieses Mal aber in schriftlicher Form und nochmals stärker auf meine Erinnerungen bezogen. Das Miroboard und die dort festgehaltene Bezüge sollen aber natürlich mit einfliessen.

Anstelle dass ich Seerosen in der Natur, in Parks oder in privaten Gärten antreffe, begegne ich ihnen beim Zahnarzt. In der Zahnarztpraxis, welche ich besuche, hängt über dem Behandlungsstuhl ein Poster mit Seerosen von Claude Monet. Mit weit aufgerissenem Mund und nach hinten liegendem Kopf, fällt mein Blick direkt auf den Teich und den darin schwimmenden Seerosen. Ich sehe die groben Farbflecken, die sanften und abgestuften Farbtönen, rosa, violett, blau und grün. Die Perspektive des Bildes zeigt nach unten und konzentriert sich auf die Wasseroberfläche mit ihrer schwimmenden Vegetation inmitten einer Reflexion des Himmels und der Bäume. Das geschickte Spiel mit Tiefe lässt mich eintauchen in ein Blau, bei dem oft nicht klar ist, wo das Wasser aufhört und der Himmel anfängt. Ein freies Spiel mit Farbe und Formen.Vielleicht hängt es aber auch damit zusammen, dass mir aufgrund der schmerzhaften Zahnbehandlung Tränen in die Augen treten und alles einen leicht verschwommen Ausdruck annimmt. Das Seerosen Bild soll mich wohl mit seinen sanften Farben beruhigen. Nicht nur in Zahnarztpraxen bin ich solchen Seerosenbildern bereits begegnet, sondern auch in verschiedenen Schlafzimmern (Abb.4). oder im Eingangsbereich einer Regionalen Sparbank. Die Bilder von Monet weisen etwa Schmuckes auf und sind längst zu einem beliebten, allgegenwärtigen Dekorationselement geworden. Obwohl es einer Klärung bedürfte, für was denn die Seerosenbilder zur Zeit ihrer Entstehung standen, stellte sich uns diese Frage auf dem Miroboard nicht. In der Besprechung mit der Arbeitsgruppe im Modul konnten wir die Bilder nicht von dem Kontext des Dekorativen lösen - zu oft haben wir sie gesehen und zu sehr sind sie uns bekannt, als dass sie uns noch etwas Neues eröffnen würden, uns konfrontieren und in Fragen stellen würden.

Claude Monet scheint vor allem auch in einer Kunstvermittlung für Kinder beliebt zu sein, Beispiele dafür gibt es viele9 (Abb. 5 und Abb. 6). In meiner schulischen Laufbahn bin ich dem Künstler mit seinem imposanten Rauschebart früh begegnet, in der Sekundarstufe abermals und im Gymnasium (siehe Abb. 7) sind wir mit der Staffelei durch den Schulpark gestampft, ausschauend nach einem Motiv, welches sich gut für ein impressionistisches Bild eigenen würde. Ich entschied mich für einen Teich, Seerosen hatte dieser keine, aber ich malte sie trotzdem.

Die Methode, welche wir in der Arbeitsgruppe10 gewählt hatten, um die verschiedenen Kunstwerke auf der digitalen Plattform miteinander zu verbinden, war eine Bildliche, Assoziative. Wir suchten im Internet nach Bildern, welche uns in Bezug zu dem jeweiligen Werk in den Sinn kamen und fügten diese in das gemeinsame Miroboard ein. Das Seerosen Gemälde erwies sich dafür als minder ertragreich als andere Werke, der Prozess kam nur schwerfällig in die Gänge. Auffallend war, dass wenn Bezüge gemacht wurden, diese oft in einer sarkastische Weise geschahen und sie das Werk Monets dekonstruierten. Das Seerosenbild schien für etwas zustehen, was es heute so nicht mehr gibt, etwas was als veraltet und deswegen als nicht mehr ganz ernst zu nehmend gilt. Vielleicht auch aus dem Grund, weil Seerosen Bilder nun doch einfach harmlos und unschuldig wirken? Die Benutzung des Spottes war für mich eine Möglichkeit, mich von diesen Bildern zu distanzieren. Denn diese Bilder stehen schliesslich doch auch für etwas, von was ich mich kritisch distanzieren möchte - nämlich von einem Kunstunterricht, welcher hauptsächlich weissen und männlichen Künstlern Raum bot.

Was geschieht nun aber, wenn ich mich in einem zweiten Schritt dem Werk wieder annähere, es von Neuem betrachte und versuche mir Fragen zu stellen, die mir aufgrund des Allgegenwärtigen verloren gegangen sind? Und was passiert, wenn ich den Blick weite und das Gemälde einbette in eine grössere Szenerie? Versuche ich genau das zu tun, so sehe ich den grossen Teich, erblicke die japanische Brücke und drehe ich mich um, schaue ich auf das rosarote Haus von der Familie Monet - ich befinde mich im Garten des Malers.

Monets Garten spielt in der Literatur über den Künstler (neben seiner Augenkrankheit) eine wichtige Rolle. Der Garten in Ginverny diente dem Maler als Inspiration und als Vorlage für seine Bilder und war das, womit er sich in den letzten 35 Jahren seines Schaffens beschäftigt hatte.11 Nicht pittoreske Sehenswürdigkeiten seien es gewesen, welche den Maler interessiert hätten, sondern die Licht und die Wetterphänomene und ihre verschiednen Auswirkungen auf die alltägliche Umgebung. Dieser Alltagsumgebung gewann er Motive ab wie Parks, Gärten und Seerosen.12 Die Frage nach Landschaft sowie Natur und deren Veränderungen scheint sich bei Monets Bildern zu stellen. Mit dieser alltäglichen Motivik des Gartens/ des Parks soll versucht werden, den Bogen zu unser Zeit zu spannen und ein neues Themenfeld zu eröffnen - das Thema des Gartens.

Wer über den Garten spricht, spricht auch über Privatheit; und Garten wie Privatheit verweisen zwangsläufig auch auf eine Öffentlichkeit. Gärten sind „private“ Räume, nicht umsonst sind sie eingezäunt und beschildert mit Schildern, auf welchen Zutritt verboten steht (Abb.7 und 8). Zu den meisten Häusern gehört ein Garten dazu, jedoch sind längst nicht alle Menschen im Besitz eines eigenen Stück Landes. Gerade in Zeiten von Corona mag der Garten für viele als ein Privileg erscheinen, denn er ist die Möglichkeit nach draussen zu gehen, frei zu sein (?), zu gestalten und sich zu verwirklichen. Im Garten werden Feste gefeiert, Fussball gespielt, angepflanzt und geerntet. Es gibt Schrebergärten, Gemeinschaftsgärten, Balkongärten, japanische, botanische und englische Gärten. Es gibt Gärten mit Pools, Terrassen oder automatischen Rasenmäher, welche ihre Runden ziehen. Was sagen uns Gärten über die jeweiligen Besitzer und Besitzerinnen aus? Sind sie nicht auch immer Ausdruck von Reichtum, bezüglich Zeit, Besitz und Geld? (Seerosen jedenfalls sind nicht ganz billig;) ). Welche Rolle spielt der Garten in der Kunstgeschichte, Stichwort der paradiesische Garten? (Abb.9) Ebenfalls ist der Garten nicht nur in der westlichen Kunst ein bedeutendes Thema.13 Seerosen beispielsweise sind in der chinesischen Kultur fest verankert, es wäre spannend ihre Bedeutung, wie auch der Umgang mit Gärten im Allgemeinen in anderen Kulturen zu beleuchten. Weitere Fragen bezüglich des Gartens sind, wie ich ihn pflege, mit wem ich ihn teile und welche Phänomene ich in ihm beobachten kann? Habe ich überhaupt einen Garten? Und was würden wir malen, wenn wir wie Monet eine Staffelei direkt vor unsere Haustür aufstellen würden?  In welcher Umgebung befänden wir uns und inwiefern würde sich die impressionistische Malweise noch dafür eigenen, die Umgebung malerisch zu übersetzen? Müsste vielleicht nach einer anderen Bildsprache gesucht werden?

Dieser Text endet hier offen, es bleibt die Frage, wie die Seerosen in in ein politisches Thema übergeführt werden können und ob sie sich als Ausgangspunkt überhaupt eignen. Bin ich ehrlich, so merke ich, dass ich die Seerosen ganz gerne in der Zahnarztpraxis betrachte, mich im schulischen Kunstunterricht aber nicht umbedingt weiter damit beschäftigen möchte. Aber vielleicht lohnt es sich eben doch, wenn man sich mit genau solchen Werken der klassischen Kunstgeschichte beschäftigt und auseinandersetzt, sich an diesen reibt, sie kontextualisiert und kritisch revidiert. Vielleicht können genau an diesen klassischen Beispielen Machtverhältnisse aufgezeigt werden oder aber man gelangt in der Beschäftigung mit ihnen zu Themen (beispielsweise Begriff der Dekoration, Thema Garten, öffentlicher Raum, etc.) mit welchen man es sich vorstellen kann, weiter zu arbeiten.