Abb. 1
Notes

1 Ich habe mich dazu entschieden, anstelle des Begriffs der Kunstgeschichte, den Begriff Kunstgeschichten zu verwenden, da für mich viele Kunstgeschichten parallel zueinander entstanden sind und weiterentstehen, dies in unterschiedlichen kulturellen, globalen und geografischen Kontexten.

Zitat aus: http://www.k-strich.de/de/kunstler/eiko-grimberg/, 11.04.2021.

3 Zitat Magritte 1946.

4 Kunstforum International 2021, S. 73 und 132.

5 Onorato/ Krebs 2019.

6 Kunstforum International 2021.


Quellen

Kunstforum International 2021
Kunstforum International, Report. Bilder aus der Wirklichkeit, Band 273, 2021.

Grimberg 2011-2020
Eiko Grimberg, Rückschaufehler, 2011-2020.
(http://www.k-strich.de/de/kunstler/eiko-grimberg/, 11.04.2021.)

Magritte 1946
René Magritte, The son of man, 1946, Zitat von René Magritte.
(https://www.renemagritte.org/the-son-of-man.jsp, 11.04.2021.)

Hito Steyerl 2013
Hito Steyerl 2013, How not to be seen: A Fucking Didactic Educational .MOV File, 2013. (https://www.artforum.com/video/hito-steyerl-how-not-to-be-seen-a-fucking-didactic-educational-mov-file-2013-51651, 22.04.2021.)

Onorato/ Krebs 2019
Taiyo Onorato und Nico Krebs, Future Perfect, 2019.
(https://tonk.ch/future-perfect/, http://www.tonk.ch/DOWNLOAD/Artist_Statement.pdf, 11. 04. 2021.)

Ehrenstein 2021
Anna Ehrenstein, A Lotus is a Lotus, 2021.
(https://www.annaehrenstein.com/a-lotus-is-a-lotus.html, 11.04.202.)


Bildquellen
Abbildung 1, 2
Screenshot von Emma Louise Fankhauser: Meme Instagram, Anwendung Instagram Filter von Inès Longevial.

Abbildung 3, 4, 5
Hito Steyerl, How not to be seen, 2013, Screenshots Video: https://www.artforum.com/video/hito-steyerl-how-not-to-be-seen-a-fucking-didactic-educational-mov-file-2013-51651, 22.04.2021.

Abbildung 6, 7
Eiko Grimberg, Rückschaufehler, 2011-2020, Screenshots von Website:
http://www.k-strich.de/de/kunstler/eiko-grimberg/, 11.04.2021.

Abbildung 8, 9
Anna Ehrenstein Screenshot von Website:
https://www.annaehrenstein.com/a-lotus-is-a-lotus.html, 11.04.2021.

Abbildung 10, 11
Taiyo Onorato und Nico Krebs, Future Perfect Screenshot von Website: X1, 2019, C-Print, 179 x 289 cm, edition of 05, X7, 2019  X7, 2019, C-Print, 179 x 289 cm, edition of 05.
https://tonk.ch/future-perfect/, http://www.tonk.ch/DOWNLOAD/Artist_Statement.pdf, 11. 04. 2021.

Abbildung 12
Renee Magritte, The son of man, 1946, Öl auf Leinwand, 116 cm × 89 cm, Screenshot Google Suche: https://www.renemagritte.org/the-son-of-man.jsp, 11.04.2021.

Emma Fankhauser ~ Interpretationsspielraum



Jeden Tag schauen wir uns unzählige Mengen von Bildern an. Auf Postern, Plakaten, gedruckt im Alltag, auf den sozialen Netzwerken, auf den Suchmaschinen kann man sogar nur mit Bildern andere Bilder suchen und finden wiederum neue Bilder, Memes mit Mona Lisa (Abb.1), Instagram-Filter (Abb.2), die einem in eine Ölmalerei von Inès Longevial (*1990), einer jungen Künstlerin aus Frankreich, verwandeln. Die Kontexte der Bilder vermischen sich mehr und mehr mit uns selbst.

Es wird schwieriger, Grenzen zu erkennen, wo welche Realitäten gezeigt werden und in welchen Zusammenhängen sie stehen. Ein anderer Aspekt ist die Aneignung der Bilder. Neben dem täglichen Anschauen von Bildern und (Kunst)Geschichten, verwenden und reproduzieren wir sie, ohne genau zu wissen wer sie produziert und wo sie entstanden sind. Es wird drauf los gerepostet und gescreenshotet. Die Bilder fliegen uns um die Ohren und lösen sich aus ihren Umständen heraus. jede*r, mit Zugang zu Internet und Technologie, ist heute ein*eine Bildautor*in und produziert eigene/gefundene Bilder, die in Umlauf gebracht werden. Chronologische Reihenfolgen verschwimmen, denn die Bilder schweben um uns herum und sind nicht einfach an einem Zeitstrahl festzumachen. Das gilt meiner Meinung nach auch für den Umgang mit Kunstgeschichten.1

Sich mit Kunstgeschichten auseinanderzusetzen bedeutet für mich, mich mit Bildern, die in diversen künstlerischen Medien entstehen, zu befassen. Bilder dokumentieren eine Wirklichkeit in einem Moment. Daneben existieren parallele Realitäten. Bleiben wir bei den Bildern aus kunstgeschichtlichem Kontext gibt es auch da unterschiedliche Blicke auf denselben Moment. Dabei spielen unsere individuellen kulturellen Kontexte eine zentrale Rolle. Die Arbeit Rückschaufehler, 2011-2020, von Eiko Grimberg (*1971) setzt sich genau mit diesen Wirklichkeiten und ihre Transformation in die Gegenwart auseinander. (Abb. 6, 7)

«Der Begriff ‚Rückschaufehler‘ bezeichnet eine durch die Kenntnis des tatsächlichen Ausgangs der Ereignisse verzerrte Erinnerung an die eigene Prognose. Die Vorhersage wird im Nachhinein korrigiert. Man möchte nicht wahrhaben wie falsch man einmal lag.»2 Grimberg dokumentiert dabei über eine Zeitspanne von 9 Jahren hinweg mit essayistischer Fotografie Geschichten und Wahrheiten der Stadt Berlin und sammelt diese in einem Fotoband, den er im Winter 2020 bei Kodoji Pressveröffentlichte.

Die Künstlerin Hito Steyerl (*1966) spricht mit ihrem Werk How Not to be Seen: A Fucking Didactic Educational .MOV File, 2013, weitere spannende Aspekte an, in der Auseinandersetzung mit Bildwelten. Sie beschäftigt sich dabei, in einem in einzelne Schritte unterteilten Video, mit verschiedenen Möglichkeiten in einem Bild nicht gesehen zu werden. Was sehen wir nicht? Wie sehen wir nicht?

Eine Computerstimme führt uns durch die einzelnen Kapitel. Die Künstlerin selbst, begleitet von Greenscreen-Aufnahmen und animierten Frequenzen, zeigt, wie Menschen und Dinge in Bildern verschwinden. (Abb. 3-5)

Es scheint, als wäre es in unserem Alltag beinahe unmöglich, sich Bildwelten zu entziehen, doch gelingt es uns, die Dinge in den Bildern auch wirklich zu erkennen, oder verschwinden viele Dinge, ohne dass wir es bemerken?

Wie sehen wir diese wieder? Oder wann? Wer/was ist unsichtbar und wer/was ist sichtbar?

Es findet eine Fokusverschiebung statt. Es beginnt eine Suche nach den verschwundenen Dingen in Bildern. Diese Recherche und genaue Beobachtung werden zur zentralen Aufgabe, auch in der Auseinandersetzung mit Kunstgeschichten. Wie wurde dieses Bild konstruiert, wer hat es wann gemacht und was darüber gedacht?

Kontexte werden mit dem Bewusstsein darüber, welche Personen Bildautor*innen sind und welche kulturellen Kontexte sie prägten erweitert. Dabei wird versucht, sich mit den nicht so leicht erkennbaren Motiven zu konfrontieren, andere Perspektiven zu entdecken oder mit aktuellen Gegebenheiten zu verbinden.

René Magritte (1898-1967) spricht über dieses Phänomen in Bezug auf seine Malerei in der Mitte des 20. Jahrhunderts, was mich wiederum an die vorher benannten Beispiele erinnert. Er beschreibt die Neugier an nicht Sichtbarem.  Dabei unterscheidet er anhand von seinem Werk The Son of Man, 1946, (Abb. 12) in einem emotionalen Konflikt, zwischen sichtbar und unsichtbaren Bildmomenten: «Everything we see hides another thing, we always want to see what is hidden by what we see. There is an interest in that which is hidden and which the visible does not show us. This interest can take the form of a quite intense feeling, a sort of conflict, one might say, between the visible that is hidden and the visible that is present» René Magritte. 3

Wiederum ergänzend beschreibt Steyerl, unsere Bildwelten und wie wir sie wahrnehmen, als Erfindungen für Gegenwart und Zukunft. Die Dokumentation ist dabei sehr wichtig und gibt die Chance Zusammenhänge, die einem überraschen zu generieren und visuell darzustellen.4 So erkunden auch die beiden Künstler Taiyo Onorato (*1979) und Nico Krebs (*1979), in ihrer Arbeit Future Perfect über mehrere Jahre hinweg Bildwelten, die sie selbst generieren und welche über zukünftige Momente nachdenken.5 (Abb. 10, 11) Eine Spurensuche oder auch Spurenerfindung auf dem Weg in die Zukunft.

Auf eine andere Recherche begibt sich Anna Ehrenstein (*1993). Zwischen zwei ganz verschiedenen europäischen Kulturen aufgewachsen, erkundet sie das Thema der Migration durch das Vernetzen von Bildwelten. Was sich auf den ersten Klick/Blick auch auf ihrer Website wiederspiegelt. Ihre Arbeit präsentiert sie performativ im Raum, oft begleitet von Text. Als Beispiel möchte ich als Abschluss von diesem kurzen Text ihre ArbeitA Lotus is a Lotus erwähnen,

zu der die Künstlerin selbst sagt: «A LOTUS IS A LOTUS is looking at the embodied manifestation of cultural difference. The distribution, circulation and commodification of the other.” Die Webseite gibt einen Einblick in die Installation in einem unbekannten Raum. Farbige Bilder, in verschiedenen Techniken gemalt, hängen an den Wänden, Bilder auf Screens und ab und zu taucht eine Skulptur auf einem Teppich auf. (Abb. 8, 9) Die Installation wurde fotografisch dokumentiert, transformiert in den digitalen Raum, bleibt der reale Raum spürbar und wird erweitert durch die verschiedenen Blickwinkel, animierten Bilder, Texte und der Überlagerung der einzelnen fotografisch festgehaltenen Momente.

Die Auseinandersetzung mit Bildwelten läuft immer weiter. Die Bilder fliegen meistens ohne Pause in und um uns herum. Man hat gar nicht wirklich eine Wahl, man kann ihnen nicht entwischen. Was mir jedoch offen bleibt, ist welche Perspektive ich einnehme. So ist es für mich auch in der Auseinandersetzung mit Kunstgeschichten. Abhängig davon, welchen Blickwinkel man sich auswählt, öffnen sich Spuren, welchen man nachgehen kann, neues entdeckt, von welchen man sich überraschen lässt und vielleicht auch wieder verwirft. Die Frage, wie wir Interpretationsspielräume definieren, bleibt für mich dabei zentral und stell sich immer wieder aufs Neue.

Die Positionen, auf die ich mich bei diesem Text beziehen, stützen sich auf den aktuellen Band 273 des Magazins Kunstforum International Report. Bilder aus der Wirklichkeit, welches sich mit der dokumentarischen Fotografie aus diversen Perspektiven auseinandersetzt und mich beim Schreiben dieses Textes inspiriert.6